Grußwort
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde des Jüdischen Lehrhauses,
im Talmud findet sich folgende Überlieferung: Ein Heide kam einst zu dem berühmten Hillel (112 v.d.Z. — 8 n.d.Z.) mit dem Ersuchen, ins Judentum aufgenommen zu werden. Er bat: „Lehr mich die Thora, während ich auf einem Fuße stehe.“ Der weise Hillel erwiderte: „Was du nicht willst, dass man dir tue, das füge auch keinem andern zu. Dies ist die ganze Thora, alles Übrige ist Kommentar. Nun gehe hin und lerne!“
Der Kategorische Imperativ von Immanuel Kant (1724–1804) als eine allgemeine Gesetzgebung mag in der Thora (3. Buch Mose) und bei Hillel seine Inspiration erhalten haben.
Maimonides (Mosche Ben Maimon; 1138–1204) sagt zu Hillel, dass selbst wenn jemand es nicht verdient, dein Lehrer zu sein, mache ihn doch zu deinem Lehrer, bis du an ihm merkst, dass er lehren kann und dadurch wird er imstande sein, Weisheit dir beizubringen; denn es ist derjenige, der aus sich selbst lernt (der ein Autodidakt ist), nicht zu vergleichen mit einem solchen, der mit andern lernt. Dieser Gedanke findet sich auch im Jüdischen Lehrhaus.
Maimonides, seinen Lebensweg, sein Wirken und Werken werden wir in diesem Semester in der Reihe „Juden unter dem Halbmond“ mit Oliver Glatz ausführlich gemeinsam bearbeiten.
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „27. Januar — Erinnern an die Opfer“ bieten wir auch in diesem Jahr wieder Filme, eine Ausstellung und verschiedene Führungen gemeinsam mit mehreren Kooperationspartnern an. Die Reihe beginnt mit der Ausstellung „Der Tod ist ständig unter uns“, die im Foyer des Wiesbadener Rathauses gezeigt wird.
Wir freuen uns, dass Gerhard Schick, der Regisseur des Films „Mein illegales Leben“, zu Film und anschließendem Gespräch zu Gast im Caligari sein wird. Außerdem erwartet uns eine Lesung und Diskussion mit Ron Segal zu seinem Buch „Jeder Tag wie heute“.
Die Ausstellung „Zwischen Nonkonformität und Widerstand“ ist bis zum 28. Februar im Hauptstaatsarchiv Wiesbaden zu sehen. Wir tragen mit einem Rundgang und einer Veranstaltung für Schulklassen zum Begleitprogramm bei.
Im März wird uns Hartmut Boger Wolfgang Hildesheimer und Auszüge aus dessen Werk näherbringen.
Darüber hinaus freuen wir uns über die Kooperation mit der Volkshochschule Schierstein, mit der wir zwei Veranstaltungen anbieten, die einen Blick auf die Geschichte und Gegenwart unserer Gemeinde werfen.
Aufgrund der großen Nachfrage bieten wir auch in diesem Semester wieder in Kooperation mit dem Stadtarchiv Wiesbaden eine Führung über den jüdischen Friedhof Platter Straße an, bei der wir Sie in die über 140-jährige Geschichte der Jüdischen Gemeinde in Wiesbaden einführen.
Wir freuen uns, dass Ellen Fähnrich ihre Forschungen zu Moritz Marxheimer vorstellen wird, der als Jurist in Wiesbaden tätig war. Für ihre Bachelor-Arbeit zum Thema hat sie den Uwe-Uffelmann-Preis der Pädagogischen Hochschule Heidelberg erhalten.
Zudem widmen sich auch in diesem Semester zwei Workshops der jüdischen Küche und den israelischen Volkstänzen. Anat Kozlov wird uns durch die kulinarischen Traditionen führen, während Colin Glogauer uns die Welt der israelischen Volkstänze näherbringt.
In Zusammenarbeit mit der Volkshochschule Wiesbaden bieten wir weiterhin Hebräischkurse in verschiedenen Niveaustufen an, die sowohl für Anfänger als auch für Fortgeschrittene geeignet sind.
Nachdem wir in den vergangenen Semestern ein internationales Publikum in digitalen Formaten begrüßen durften, möchten wir auch weiterhin ausgewählte Veranstaltungen online anbieten.
Wir freuen uns, Sie im 24. Semester seit der Wiedergründung des Jüdischen Lehrhauses Wiesbaden zu unseren Veranstaltungen einzuladen.
Dr. Jacob Gutmark
Dezernent für Kultur der Jüdischen Gemeinde Wiesbaden
Steve Landau
Leiter des Jüdischen Lehrhauses
Kontaktdaten
Jüdische Gemeinde Wiesbaden
Friedrichstraße 31–33
65185 Wiesbaden
Telefon: 0611–93 33 030
Fax: 0611–93 33 03 19
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Mit Förderung durch das Kulturamt der Landeshauptstadt Wiesbaden.
Geschichte des Jüdischen Lehrhauses Wiesbaden (Kurzfassung)
Franz Rosenzweig (geb. 1886 in Kassel – gest. 1929 in Frankfurt am Main) eröffnete 1920 in Frankfurt am Main das „Freie Jüdische Lehrhaus“. An dieser Bildungseinrichtung für Erwachsene, deren Dependance in Wiesbaden eröffnete, wurde der Grundsatz verfolgt: „Das Lehrhaus soll uns lehren, warum und wozu wir sind.“ Das Jüdische Lehrhaus hatte außerdem das Ziel, traditionelles jüdisches Wissen zu vermitteln und eine handlungsorientierte Wissenspraxis zu fördern.
Eine besondere Bedeutung kam der Begegnung zwischen der jüdischen Gemeinschaft und der Mehrheitsgesellschaft zu. Diese Begegnung sollte weder eine Mission noch die Aufgabe der eigenen Identität bedeuten, sondern eine „Ich-Du-Beziehung“, wie Buber sie bezeichnete, also eine dauerhafte Partnerschaft auf Augenhöhe sein. Rosenzweig strebte an, jüdisches Wissen und jüdische Werte auch in die nichtjüdische Umgebung zu tragen und somit eine Brücke zwischen den Kulturen zu schlagen.
Zentral war dabei das Konzept des „lebensbegleitenden Lernens“. Das Lehrhaus verstand Bildung als einen kontinuierlichen Prozess, bei dem Tradition und Moderne aufeinandertreffen und sich gegenseitig befruchten sollten. Es sollte ein Ort sein, an dem ein lebendiger Austausch von Ideen und ein offener Dialog zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft und Überzeugungen stattfinden konnten.
Das pädagogische Modell von Franz Rosenzweig wurde bis zur Schließung im Jahr 1938 durch die Nationalsozialisten von dem Religionsphilosophen Martin Buber, dem Psychologen Erich Fromm, dem Pädagogen Ernst Simon und dem Arzt Richard Koch weitergetragen. Trotz des abrupten Endes des Lehrhauses setzten sie das pädagogische Erbe von Rosenzweig fort und ließen seine Ideen in ihren eigenen Werken und Aktivitäten weiterleben.
Das Jüdische Lehrhaus Wiesbaden wurde im Mai 2013 wiedergegründet und setzt die Tradition des Frankfurter Hauses fort.