Grußwort
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde des Jüdischen Lehrhauses,
es ist eher schwierig, traditionelles jüdisches Wissen sowie seine modernen Auslegungen in ihrer Vollständigkeit ausreichend zu vermitteln. Nach 20 Semestern bzw. 10 Jahren seit Bestehen des Nachkriegs-Jüdischen Lehrhauses Wiesbaden sind wir, die Jüdische Gemeinde Wiesbaden, recht stolz auf das bisher Geleistete. Ohne eine missionarische Absicht haben wir keinen nachhaltigen strukturellen Wandel angestrebt.
Das Versprechen der Schlange an Adam und Eva, „Ihr werdet sein wie Gott“, was letztendlich zum „verbotenen“ Genuss der Früchte vom „Baum der Erkenntnis“ führte, war für Erich Fromm, Mitgründer des Freien Jüdischen Lehrhauses in Frankfurt am Main, ein revolutionärer Satz. Aus einem revolutionären Buch, der Hebräischen Bibel, wie er sagt.
Nun gehen wir, das Jüdische Lehrhaus in Wiesbaden, von der aktuellen Erkenntnis aus – wo möglich auch bescheidener –, dass moderne Menschen, Juden wie Nichtjuden, zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse und Interessen auf die Interaktion mit ihren Mitmenschen angewiesen sind. Unser Lernangebot zielt auf einen gewissen Anteil der sozialen Komplexität im Alltag ab. Wir werden auch weiterhin darauf aufbauen und uns in den nächsten 10 Jahren an unserem bisherigen Erfolg orientieren.
Wir freuen uns außerordentlich, dass Hartmut Boger erneut unser Halbjahresprogramm mit einem Vortrag bereichern wird. Dieses Mal steht die Nobelpreisträgerin Nelly Sachs auf dem Programm.
Mit der Eröffnung der Ausstellung „Aber ich lebe“ nähern wir uns dem Thema Shoa auf künstlerische Weise an.
Angesichts der großen Anzahl Interessierter ermutigt, findet auch in diesem Halbjahr eine Führung über den ältesten jüdischen Friedhof Wiesbadens statt. Begleitet werden Sie von Dr. Katherine Lukat und Steve Landau.
Der Tag der offenen Tür während des Sukkot-Festes darf auch 2023 nicht fehlen.
Während der Walhalla Woche spricht Vanessa Remy, Projektleiterin Walhalla, mit Steve Landau unter anderem darüber, was die Jüdische Gemeinde Wiesbaden mit dem Walhalla verbindet.
Rabbiner Mendel Gurewitz wird uns verdeutlichen, dass Moses tatsächlich keine Hörner hatte und dass selbst Michelangelo auf diese Fehlinformation „hereingefallen“ ist.
Im 75. Jahr nach der Gründung des Staates Israel nehmen wir Sie mit auf eine virtuelle Führung durch Jerusalem. Unser Reiseleiter wird Uriel Kashi sein. Zusammen mit Professor Johannes Becke werden wir uns außerdem mit dem Thema „Minderheiten in Israel“ beschäftigen.
Am 12. Dezember 1848 erhielten Juden in Nassau die Bürgerrechte. Wir freuen uns, dass Julia Mutzenbach zum 175. Jahrestag dieses Ereignisses einen Vortrag im Großen Festsaal des Wiesbadener Rathauses halten wird.
In diesem Halbjahr wird Oliver Glatz über die jüdische Gemeinschaft in Afghanistan referieren.
Mit Karoline Röhr erfahren Sie viel über Moshé Feldenkrais und die Wirkungsweise seiner Arbeitsmethode auf Körper und Geist. Zusätzlich bieten wir Ihnen zwei spannende und köstliche Workshops mit Anat Kozlov an.
In Zusammenarbeit mit der Volkshochschule Wiesbaden finden Hebräischkurse in verschiedenen Leistungsstufen statt.
Da wir uns in den vergangenen Semestern bei digitalen Formaten sogar über ein internationales Publikum freuen durften, behalten wir das Online-Angebot bei einigen Veranstaltungen gerne bei.
Wir freuen uns, Sie im nun 21. Semester seit Neugründung des Jüdischen Lehrhauses in Wiesbaden im Rahmen unserer Veranstaltungen zu begrüßen.
Dr. Jacob Gutmark
Dezernent für Kultur der Jüdischen Gemeinde Wiesbaden
Steve Landau
Leiter des Jüdischen Lehrhauses
Kontaktdaten
Jüdische Gemeinde Wiesbaden
Friedrichstraße 31–33
65185 Wiesbaden
Telefon: 0611–93 33 030
Fax: 0611–93 33 03 19
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Bankverbindung
Jüdische Gemeinde Wiesbaden
IBAN: DE18 510500150277005658
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Mit Förderung durch das Kulturamt der Landeshauptstadt Wiesbaden.
Geschichte des Jüdischen Lehrhauses Wiesbaden (Kurzfassung)
Franz Rosenzweig (geb. 1886 in Kassel – gest. 1929 in Frankfurt am Main) eröffnete 1920 in Frankfurt am Main das „Freie Jüdische Lehrhaus“. An dieser Bildungseinrichtung für Erwachsene, deren Dependance in Wiesbaden eröffnete, wurde der Grundsatz verfolgt: „Das Lehrhaus soll uns lehren, warum und wozu wir sind.“ Das Jüdische Lehrhaus hatte außerdem das Ziel, traditionelles jüdisches Wissen zu vermitteln und eine handlungsorientierte Wissenspraxis zu fördern.
Eine besondere Bedeutung kam der Begegnung zwischen der jüdischen Gemeinschaft und der Mehrheitsgesellschaft zu. Diese Begegnung sollte weder eine Mission noch die Aufgabe der eigenen Identität bedeuten, sondern eine „Ich-Du-Beziehung“, wie Buber sie bezeichnete, also eine dauerhafte Partnerschaft auf Augenhöhe sein. Rosenzweig strebte an, jüdisches Wissen und jüdische Werte auch in die nichtjüdische Umgebung zu tragen und somit eine Brücke zwischen den Kulturen zu schlagen.
Zentral war dabei das Konzept des „lebensbegleitenden Lernens“. Das Lehrhaus verstand Bildung als einen kontinuierlichen Prozess, bei dem Tradition und Moderne aufeinandertreffen und sich gegenseitig befruchten sollten. Es sollte ein Ort sein, an dem ein lebendiger Austausch von Ideen und ein offener Dialog zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft und Überzeugungen stattfinden konnten.
Das pädagogische Modell von Franz Rosenzweig wurde bis zur Schließung im Jahr 1938 durch die Nationalsozialisten von dem Religionsphilosophen Martin Buber, dem Psychologen Erich Fromm, dem Pädagogen Ernst Simon und dem Arzt Richard Koch weitergetragen. Trotz des abrupten Endes des Lehrhauses setzten sie das pädagogische Erbe von Rosenzweig fort und ließen seine Ideen in ihren eigenen Werken und Aktivitäten weiterleben.
Das Jüdische Lehrhaus Wiesbaden wurde im Mai 2013 wiedergegründet und setzt die Tradition des Frankfurter Hauses fort.