Jüdi­sches Lehrhaus

Grußwort

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde des Jüdischen Lehrhauses,

Der Klu­ge lernt aus allem und von jedem, der Nor­ma­le aus sei­nen Erfah­run­gen und der Dum­me weiß alles bes­ser“, sag­te Sokra­tes (469 — 399 vor der moder­nen Zäh­lung), der als einer der Begrün­der der west­li­chen Phi­lo­so­phie gilt. Er war der Über­zeu­gung, dass die Tugend lehr­bar sei, und hin­ter­frag­te alle Lebensbereiche.

Mit der Idee, dass muti­ges Fra­gen unwill­kür­lich dazu füh­ren kann, dass man Jüdi­sche Lern­in­hal­te inten­si­ver ver­steht und sich mit ihnen kom­pe­ten­ter aus­ein­an­der­setzt, gehen wir in das Jüdi­sche Lehr­haus in Wies­ba­den. Mit mög­lichst vie­len Fra­gen zu jüdi­schen The­men las­sen sich Wider­sprü­che iden­ti­fi­zie­ren, Nar­ra­ti­ve und Kli­schees kri­tisch über­prü­fen. Man kann den Sach­ver­halt auch ein­fa­cher beschrei­ben, näm­lich, dass die Fra­ge­stel­lung zu Jüdi­schen Inhal­ten, die Bekun­dung des Nicht­wis­sens ist, um es in mehr Wis­sen zu ver­wan­deln. Die Fra­ge­stel­lung bestimmt dann die mög­li­chen Antworten!

Reli­gi­on und Wis­sen las­sen sich, unse­rem Ver­ständ­nis nach, in ratio­na­ler Wei­se ergän­zen. In Anleh­nung an den Phi­lo­so­phen Abra­ham Joshua Heschel lässt sich sagen, dass: „[w]ir Gott näher [sind], wenn wir Fra­gen stel­len, als wenn wir glau­ben, dass wir die Ant­wor­ten haben.“ („SQ: Ver­bin­dung mit unse­rer spi­ri­tu­el­len Intel­li­genz“, Danah Zoh­ar und Ian Mar­shall, 2000.)

Im Rah­men der Ver­an­stal­tungs­rei­he „27. Janu­ar — Erin­nern an die Opfer“ zei­gen wir gemein­sam mit Koope­ra­ti­ons­part­nern drei Fil­me. Sie rei­chen von der bewe­gen­den Geschich­te eines Boxers, über einen Schön­heits­wett­be­werb für Frau­en, die die Sho­ah über­lebt haben, bis hin zu einem facet­ten­rei­chen Por­trät des Fil­me­ma­chers Offer Avnon, der zu einem Film­ge­spräch nach Wies­ba­den kommt.

Außer­dem freu­en wir uns, dass die Autorin Juna Gross­mann für eine Lesung zuge­sagt hat. Sie wird uns tie­fe Ein­bli­cke in ihre per­sön­li­chen Erfah­run­gen als Jüdin in Deutsch­land geben.

Im März wird uns Hart­mut Boger aus­ge­wähl­te Gedich­te von Hil­de Domin vor­stel­len und dia­lo­gisch interpretieren.

Der Titel des Vor­trags von Dr. Ber­nard Gör­lich „Gewalt der Unver­nunft“ könn­te aktu­el­ler nicht sein. Wir wer­den erfah­ren, wie Vor­ur­tei­le, Feind­bil­der und Fana­tis­mus unse­re Welt beeinflussen.

In der Rei­he „Juden unter dem Halb­mond“ beleuch­tet Oli­ver Glatz das ambi­va­len­te Ver­hält­nis zwi­schen Muham­mad und den Juden. Er wird von den Anfän­gen des Islams berich­ten und den Bogen zum Heu­te schla­gen. Freu­en Sie sich mit uns auf einen span­nen­den Sonntag!

Auf­grund der gro­ßen Nach­fra­ge bie­ten wir auch in die­sem Semes­ter wie­der eine Füh­rung über den jüdi­schen Fried­hof Plat­ter Stra­ße an, bei der wir Sie in die über 140-jäh­ri­­ge Geschich­te der Juden in Wies­ba­den mitnehmen.

Dr. Joan­na Nowot­ny war bereits 2023 mit dem The­ma „Kos­her Nos­t­ra“ in unse­rem Pro­gramm. Auf­grund der hohen Nach­fra­ge und des ganz beson­de­ren The­mas wird die Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­le­rin dies­mal über Super­hel­den spre­chen. Haben Super­hel­den jüdi­sche Wur­zeln? Erin­nert Sie die Geschich­te von Super­man auch an die von Moses?

Nicht feh­len dür­fen in die­sem Semes­ter die bei­den Koch­work­shops. Las­sen Sie sich von Anat Koz­l­ov durch die kuli­na­ri­sche Viel­falt Isra­els füh­ren und erle­ben Sie die Ver­schmel­zung von Tra­di­ti­on und Moderne.

Tau­chen Sie mit Colin Glo­gau­er in die Viel­falt israe­li­scher Volks­tän­ze ein und erle­ben Sie die pure Lebensfreude.

In Zusam­men­ar­beit mit der Volks­hoch­schu­le Wies­ba­den bie­ten wir Hebräisch­kur­se in ver­schie­de­nen Niveau­stu­fen an.

Nach­dem wir bereits in den ver­gan­ge­nen Semes­tern ein inter­na­tio­na­les Publi­kum in digi­ta­len For­ma­ten begrü­ßen durf­ten, möch­ten wir das Online-Ange­­bot für aus­ge­wähl­te Ver­an­stal­tun­gen beibehalten.

Wir freu­en uns, Sie auch im 22. Semes­ter seit Neu­grün­dung des Jüdi­schen Lehr­hau­ses in Wies­ba­den im Rah­men unse­rer Ver­an­stal­tun­gen zu begrüßen.

Dr. Jacob Gutmark
Dez­er­nent für Kul­tur der Jüdis­chen Gemein­de Wiesbaden

Ste­ve Landau 
Lei­ter des Jüdis­chen Lehrhauses

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Fried­rich­stra­ße 31–33
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Kulturamt Wiesbaden

Geschichte des Jüdischen Lehrhauses Wiesbaden (Kurzfassung)

Franz Rosen­zweig (geb. 1886 in Kas­sel – gest. 1929 in Frank­furt am Main) eröff­ne­te 1920 in Frank­furt am Main das „Freie Jüdi­sche Lehr­haus“. An die­ser Bil­dungs­ein­rich­tung für Erwach­se­ne, deren Depen­dance in Wies­ba­den eröff­ne­te, wur­de der Grund­satz ver­folgt: „Das Lehr­haus soll uns leh­ren, war­um und wozu wir sind.“ Das Jüdi­sche Lehr­haus hat­te außer­dem das Ziel, tra­di­tio­nel­les jüdi­sches Wis­sen zu ver­mit­teln und eine hand­lungs­ori­en­tier­te Wis­sens­pra­xis zu fördern.

Eine beson­de­re Bedeu­tung kam der Begeg­nung zwi­schen der jüdi­schen Gemein­schaft und der Mehr­heits­ge­sell­schaft zu. Die­se Begeg­nung soll­te weder eine Mis­si­on noch die Auf­ga­be der eige­nen Iden­ti­tät bedeu­ten, son­dern eine „Ich-Du-Bezie­hung“, wie Buber sie bezeich­ne­te, also eine dau­er­haf­te Part­ner­schaft auf Augen­hö­he sein. Rosen­zweig streb­te an, jüdi­sches Wis­sen und jüdi­sche Wer­te auch in die nicht­jü­di­sche Umge­bung zu tra­gen und somit eine Brü­cke zwi­schen den Kul­tu­ren zu schlagen.

Zen­tral war dabei das Kon­zept des „lebens­be­glei­ten­den Ler­nens“. Das Lehr­haus ver­stand Bil­dung als einen kon­ti­nu­ier­li­chen Pro­zess, bei dem Tra­di­ti­on und Moder­ne auf­ein­an­der­tref­fen und sich gegen­sei­tig befruch­ten soll­ten. Es soll­te ein Ort sein, an dem ein leben­di­ger Aus­tausch von Ideen und ein offe­ner Dia­log zwi­schen Men­schen unter­schied­li­cher Her­kunft und Über­zeu­gun­gen statt­fin­den konnten.

Das päd­ago­gi­sche Modell von Franz Rosen­zweig wur­de bis zur Schlie­ßung im Jahr 1938 durch die Natio­nal­so­zia­lis­ten von dem Reli­gi­ons­phi­lo­so­phen Mar­tin Buber, dem Psy­cho­lo­gen Erich Fromm, dem Päd­ago­gen Ernst Simon und dem Arzt Richard Koch wei­ter­ge­tra­gen. Trotz des abrup­ten Endes des Lehr­hau­ses setz­ten sie das päd­ago­gi­sche Erbe von Rosen­zweig fort und lie­ßen sei­ne Ideen in ihren eige­nen Wer­ken und Akti­vi­tä­ten weiterleben.

Das Jüdi­sche Lehr­haus Wies­ba­den wur­de im Mai 2013 wie­der­ge­grün­det und setzt die Tra­di­ti­on des Frank­fur­ter Hau­ses fort.