Jüdi­sches Lehrhaus

Good Jewish Boys“?

Vor­trag


Mitt­woch, 21. Juni 2023, 19 Uhr | Online-Vor­­­trag über Zoom

Kos­ten­frei | Anmel­dung erforderlich

Good Jewish Boys“?

Von der „Kosher Nostra“ und jüdischen Verbrecherfiguren in Film und Comic

Im US-ame­ri­­ka­­ni­­schen Kul­tur­raum waren jüdi­sche Gangs­ter wie Mey­er Lan­sky und Ben­ja­min „Bug­sy“ Sie­gel in den ers­ten Jahr­zehn­ten des 20. Jahr­hun­derts berüch­tigt. Die­se Ver­tre­ter der soge­nann­ten „Kos­her Nos­t­ra“, der jüdi­schen Mafia, waren im spä­ten 19. oder frü­hen 20. Jahr­hun­dert aus Ost­eu­ro­pa in die USA ein­ge­wan­dert und begrün­de­ten in New York und Umge­bung Ver­bre­cher­or­ga­ni­sa­tio­nen. Als in den ers­ten Jahr­zehn­ten des 20. Jahr­hun­derts Kam­pa­gnen auf­ka­men, die die Ein­wan­de­rung nach US-Ame­ri­­ka beschrän­ken woll­ten, wur­den wie­der­holt Sta­tis­ti­ken kon­sul­tiert, die bewei­sen soll­ten, dass Immi­gran­ten und ihre Kin­der beson­ders zum Ver­bre­chen neig­ten. Ver­schie­de­ne Sei­ten insis­tier­ten auf der ver­meint­lich über­pro­por­tio­na­len Betei­li­gung von Juden am Ver­bre­chen: Der Poli­zei­prä­si­dent von New York behaup­te­te in einem Report im Jahr 1908, dass Juden für 50% der städ­ti­schen Kri­mi­na­li­tät ver­ant­wort­lich sei­en. Die jüdi­sche Pres­se wie­der­um reagier­te mit Ver­blüf­fung auf die plötz­li­chen Schlag­zei­len über jüdi­sches Ver­bre­chen, da sie nicht ver­ein­bar schie­nen mit dem Ruf der Juden, fried­lie­bend zu sein und den ethi­schen Code der Tho­ra zu befolgen.
Jüdi­sche Gangs­ter übten auf die popu­lä­re Ima­gi­na­ti­on eine gro­ße Fas­zi­na­ti­on aus und der Vor­trag möch­te die­ser Fas­zi­na­ti­on nach­spü­ren. Behan­delt wer­den aus­ge­wähl­te (audio-)visuelle Dar­stel­lun­gen jüdi­scher Gangs­ter aus den letz­ten Jahr­zehn­ten. Schon früh fin­den sich in den soge­nann­ten Gangs­ter­fil­men wie Let ’Em Have It (Sam Wood, 1935) impli­zi­te Ver­wei­se auf eine mög­li­che jüdi­sche Iden­ti­tät der Figu­ren. Doch zu die­ser Zeit sind Gangs­ter meis­tens nur impli­zit jüdisch codiert. Erst in spä­te­ren Jahr­zehn­ten tra­ten in Fil­men und Büchern gehäuft aus­drück­lich jüdi­sche Gangs­ter­fi­gu­ren auf, da sie im Rah­men jüdi­scher Iden­­ti­­täts- und Männ­lich­keits­dis­kur­se inter­es­sant wur­den. Neben Fil­men liegt ein Fokus des Vor­trags auf einem Medi­um, in dem sich erst seit Neue­rem gehäuft jüdi­sche Gangs­ter­fi­gu­ren fin­den: Comics wie Browns­ville (Neil Kleid und Jake Allen, 2006), Jew Gangs­ter (Joe Kubert, 2005) oder Mey­er (Jona­than Lang, Andrea Mut­ti & Shawn Mar­tinb­rough, 2019) kom­men zur Spra­che. Die­se Erzäh­lun­gen las­sen sich in einer Geschich­te der Kon­struk­ti­on jüdi­scher Männ­lich­keit ver­an­kern, die spe­zi­ell auf den Zwie­spalt von Gewalt und Fried­fer­tig­keit abhebt, von Juden als Tough Jews (Paul Brei­nes) oder als fried­lie­ben­de, altru­is­tisch ver­an­lag­te Men­schen. Der Gangs­ter auf der Flucht, der ver­sucht, Mar­ker sei­ner Iden­ti­tät abzu­le­gen, eig­net sich zudem beson­ders, um über die Sicht­bar­keit oder auch die Unsicht­bar­keit jüdi­scher Iden­ti­tät nachzudenken.

Refe­ren­tin: Dr. Joan­na Nowot­ny ist wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­te­rin am Schwei­ze­ri­schen Lite­ra­tur­ar­chiv, For­sche­rin und Dozen­tin sowie frei­schaf­fen­de Jour­na­lis­tin. Okto­ber 2013-Sep­­te­m­­ber 2017 Dok­to­rat am Lehr­stuhl von Prof. Dr. Andre­as Kilcher an der ETH Zürich. Stu­di­um der Ger­ma­nis­tik, Kunst­ge­schich­te und Phi­lo­so­phie an den Uni­ver­si­tä­ten Bern und Wien; 2012 Mas­ter­ab­schluss. For­schungs­se­mes­ter an der Uni­ver­si­ty of Chi­ca­go (IL) im Herbst 2016. For­schungs­tä­tig­keit und Publi­ka­tio­nen im Feld der deutsch-jüdi­­schen Stu­di­en, der Kul­tur der Digi­ta­li­tät, der deutsch­spra­chi­gen Gegen­warts­li­te­ra­tur, der Comic und Game Stu­dies. Aus­ge­wähl­te Publi­ka­tio­nen: »Kier­ke­gaard ist ein Jude!« Jüdi­sche Kier­ke­­gaard-Lek­­tü­­ren in Lite­ra­tur und Phi­lo­so­phie, Göt­tin­gen: Wall­stein, 2018; Memes. For­men und Fol­gen eines Inter­net­phä­no­mens (mit PD Dr. Juli­an Rei­dy), Bie­le­feld: Tran­script, 2022; als Her­aus­ge­be­rin: Rea­der Super­hel­den. Theo­rie – Geschich­te – Medi­en, Bie­le­feld: Tran­script, 2018 (mit Dr. Lukas Etter und Tho­mas Nehr­lich); Lou­is Ginz­berg, Legen­den der Juden. Ber­lin: Jüdi­scher Ver­lag im Suhr­kamp Ver­lag, 2022 (mit Andre­as Kilcher).

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